Am 9. Oktober 2025 hatte „Netzwerk zur Bekämpfung von Antisemitismus in Dortmund“ zu einer Solidaritätskundgebung unter dem Motto „Gemeinsam gegen Antisemitismus“ aufgerufen. Im Mittelpunkt standen der Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, der seither weltweit zu einem rapiden Anstieg antisemitischer Vorfälle führt. Ebenso lag der Blick auf den sechsten Jahrestag des Anschlags in Halle am 9. Oktober 2019, bei dem ein bewaffneter Neonazi versuchte, in eine Synagoge einzudringen und zwei Menschen tötete. Über 200 Personen nahmen an der Kundgebung teil und hörten dort verschiedene Redebeiträge.
Hinweis: Dieser Text ist eine leicht veränderte und erweiterte Version eines Berichtes, welcher zuerst von Darya Moalim auf Nordstadblogger.de erschienen ist. Wir danken der Redaktion für die freundliche Genehmigung zur Verwendung.
Antisemitismus nimmt weiter zu – auch in Dortmund
Mit der Kundgebung wollte das Netzwerk an die Opfer der Terroranschläge sowie antisemitischer Gewalt erinnern und ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen, der auch in Dortmund ein Problem ist. Laut der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus NRW wurden im Jahr 2024 für Dortmund insgesamt 75 Vorfälle gemeldet, was einem Anstieg von 67 Prozent im Vergleich zu 2023 entspricht und die Hälfte aller Vorfälle im Regierungsbezirk Arnsberg darstellt. Die meisten dieser Fälle haben einen Bezug zu Israel, befeuert seit dem Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023. Dabei werden teilweise antizionistische und antiisraelische Hetze miteinander verbunden, die oft mit einer antisemitischen Grundhaltung vermischt ist.
Dies griff auch Zwi Rappoport als Vorsitzender von der Jüdischen Gemeinde Dortmund in seinem Redebeitrag vor der Reinoldikirche auf: „Seit dem 7. Oktober tritt Judenhass offener, aggressiver und lauter zutage – oftmals getarnt als Kritik an Israel, tatsächlich jedoch als Hetze gegen Jüdinnen und Juden.“
Dabei handeln es sich meist um Fälle von Beleidigungen, Nötigung zur Positionierung zu Israels Politik bis hin zu Gewaltandrohungen. Teilweise treten solche Vorfälle bereits in der Grundschule auf, wie Micha Neumann vom Netzwerk zur Bekämpfung von Antisemitismus in einem Redebeitrag ergänzte. Darüber hinaus kommen sie in verschiedenen Bereichen des Alltags vor – in Bildungseinrichtungen, am Arbeitsplatz oder sogar im eigenen Wohnumfeld.
Gesellschaftliche Wahrnehmung geht teilweise mit antisemitischen Reaktionen einher
Neben der Zunahme antisemitischer Vorfälle rückte in den Redebeiträgen auch die gesellschaftliche Wahrnehmung des Nahostkonflikts in den Fokus. So betonten die Redner*innen, dass das Mitgefühl mit den zivilen Opfern des Krieges in Gaza nicht dazu führen dürfe, die Verantwortung und Ursachen aus dem Blick zu verlieren oder antisemitische Narrative zu verstärken. „Ich möchte hier ausdrücklich betonen, dass Mitgefühl mit den zivilen Opfern in Gaza verständlich und nachvollziehbar ist“, so Rappoport.
„Aber wenn dabei ausgeblendet wird, dass die Verantwortung für den Ausbruch dieses schrecklichen Krieges allein bei den Terrororganisationen Hamas, Islamischer Jihad, Hisbollah und zuletzt bei dem islamistischen Mullah-Regime im Iran zu finden ist, dann führt diese gefährliche Einseitigkeit zu einer Täter-Opfer-Umkehr.“
Auch Alexandra Khariakova, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde haKochaw im Kreis Unna, äußerte sich in einer Rede dazu: „Kaum waren die Nachrichten über das Massaker nach dem 7. Oktober bekannt geworden, begannen bereits die ersten Relativierungen. Doch wer das Massaker des 7. Oktobers relativiert, stellt sich nicht auf die Seite des Friedens, sondern auf die Seite der Täter, die Mord rechtfertigen. Statt Mitgefühlerleben wir Antisemitismus, statt Solidarität erleben wir Schweigen.“
Unsicherheit innerhalb der jüdischen Community auch auf dem Campus erkennbar
Der bestehende Antisemitismus führt vermehrt zu einem unsicheren Gefühl unter der jüdischen Community. Jüdinnen und Juden ziehen sich zunehmend aus dem öffentlichen Leben zurück. Einrichtungen wie Synagogen oder Schulen werden immer stärker bewacht. Auch unter den jüdischen Student:innen mache sich vermehrt eine Unsicherheit auf dem Campus bemerkbar, berichtete Hanna Jüdischen Studierendenverband NRW: „Das ohnehin zurückgezogene jüdische Leben kehrt immer mehr in sich ein. Versammlungen ohne Polizei oder Security sind kaum noch möglich“, so Hanna. „Synagogen, die schon vorher bewacht wurden, stehen nun unter noch strengeren Sicherheitsmaßnahmen. Viele Jüdinnen und Juden meiden die Universitäten, weil sie sich dort nicht mehr sicher fühlen.“ Die zunehmende Anspannung zeige sich auch im Alltag, wie sie ergänzte: an Universitäten etwa durch antisemitische Schmierereien oder feindselige Reaktionen auf Solidaritätsbekundungen mit israelischen Opfern. Der Verband versuche deshalb, jüdischen Studierenden mit einem geschützten Raum in Form eines „Safe Space“ und offener Kommunikation Unterstützung zu bieten, erläuterte die Studentin in ihrem Redebeitrag.
Strategien gegen Antisemitismus weiterhin nötig
Trotz der angespannten Lage äußerte sie auch Hoffnung auf Entlastung. „Vielleicht ist auch die neue Vereinbarung zur Freilassung der Geiseln und der Waffenstillstand ein Schritt in diese Richtung. Ein Zeichen, dass selbst in der tiefsten Dunkelheit Momente des Lichts möglich sind.”
Ruth Nientiedt, Geschäftsführerin der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) Dortmund, appellierte in ihrem Redebeitrag im Kampf gegen den Antisemitismus an den Ausbau von Strategien und Konzepten sowie an die Verantwortung der Kirchen. Besonders die christlichen Kirchen trügen eine historische Verantwortung, da frühere Lehren gegenüber dem Judentum den Boden für modernen Antisemitismus gelegt hätten. Hieran schloss auch Micha Neumann von der Beratungsstelle ADIRA als Koordinator des Netzwerks an. Er machte deutlich, welche Herausforderungen im Kampf gegen Antisemitismus auch in Dortmund noch bestehen. So bräuchte es dringend flächendeckende und langfristige Bildungsmaßnahmen für unterschiedliche Zielgruppen. Zudem müssten sich Parteien, Religionsgemeinschaften und zivilgesellschaftliche Orgnisationen noch deutlicher und häufiger gegen Antisemitismus positionieren. "Zu sagen, Antisemitismus hat kein Platz in Dortmund, klingt gut, aber es stimmt nicht. Antisemitismus hat einen Platz in Dortmund und dieser Realität müssen wir uns als Stadtgesellschaft stellen", betonte Neumann. Ziel sei es, dem Anspruch gerecht zu werden, in einer Stadt zu leben, "in der sich niemand verstecken muss, weil er oder sie jüdisch ist".
Zeichen gegen Antisemitismus
Neben den inhaltlichen Redebeiträgen sang Abraham Goldberg, Kantor der Jüdische Gemeinde Dortmund zwei Lieder zur Erinnerung an die Opfer und Geiseln des Terrorangriffs der Hamas. Zum Abschluss sprach Rabbiner Avigdor Nosikov das Totengebet El Male Rachamim. Auf diese Weise konnte auch in diesem Jahr mit der Kundgebung wieder ein Ort geschaffen werden, an den Menschen zusammen konnten, um an Opfer antisemitischer Gewalt zu erinnern, Solidarität mit den Betroffenen zu zeigen und ein Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen. Das dies notwendig ist, wurde in den Reden auf der Kundgebung deutlich gemacht. Das Netzwerk zur Bekämpfung von Antisemitismus bedankt sich bei allen Teilnehmenden und Unterstützer*innen der Kundgebung.










© Fotos: Netzwerk zur Bekämpfung von Antisemitismus in Dortmund

